ANALYSE

Die Propaganda hat gewirkt: Darum ist Russland noch immer schwulenfeindlich

Das kürzlich verabschiedete Anti-Schwulen-Gesetz hat für internationale Empörung gesorgt. Mit kommunistischen Rechtfertigungen längst vergangener Tage ist es allerdings nicht zu begründen. Doch was hat die russischen Gesetzgeber angetrieben? Denkmuster von einst, so scheint es, wirken heute noch immer nach.

Ultra-konservativ und gläubig: Homophobe Ideen fallen in Russland auf fruchtbaren Boden. (Foto: Flickr/ Jeff Belmonte)

Ultra-konservativ und gläubig: Homophobe Ideen fallen in Russland auf fruchtbaren Boden. (Foto: Flickr/ Jeff Belmonte)

Der Schock am vergangenen Dienstag saß tief.  Einstimmig billigte die Staatsduma das so genannte Anti-Schwulen-Gesetz. Homosexualität soll damit aus der russischen Öffentlichkeit verschwinden. Darüber mit Minderjährigen zu sprechen ist ebenso verboten, wie sich etwa in Kundgebungen für deren Rechte einzusetzen.  Wer dagegen verstößt, muss mit empfindlichen Strafen von bis zu 31.000 US-Dollar rechnen.  Mit Protestaktionen hatte die homosexuelle Community bis zuletzt versucht dagegen anzugehen. Angegriffen wurden sie jedoch nicht nur von den Sicherheitskräften, sondern auch von orthodoxen Christen und Kreml-Aktivisten. Mit schwulenfeindlichen Bannern ausgestattet, starteten sie eine Gegendemonstration. Ihr Credo: „Abgeordnete, schützt uns vor perversen Leuten!“

Homosexualität: Eine Sache von Pädophilen und Faschisten

„Das Argument, dass man junge Leute dazu bringen kann, homosexuell zu werden, mag veraltet sein. Doch tatsächlich ist es im modernen Russland noch immer präsent“, so die Zeitung The Atlantic in einem Beitrag zum Thema. Das ginge sogar so weit, dass Homosexualität und Kindesmissbrauch in einen Topf geworfen und internationale Superstars wie Madonna für ihre klaren Worte abgestraft würden. Schauriger Gipfel des Schwulenhasses:  Im vergangenen Mai wurde ein junger Mann nach seinem Outing in Wolgograd zu Tode gequält.

Die Wurzeln hierfür sind nach Ansicht des Blattes in der Vergangenheit zu suchen. Noch zu Sowjetzeiten sei Homosexualität ein Verbrechen gewesen und mit Gefängnis und Zwangsarbeit bestraft worden. Noch während der 60er und 70er Jahre wirkte diese stalinistische Anti-Homosexuellen-Politik. Homosexuelle seien als „Außenseiter“ betrachtet worden. Homosexualität, so die weit verbreitete Meinung, sei eine Sache von Pädophilen und Faschisten.

Aufhebung von Stalins antihomosexuellen Gesetz 1993

Maßnahmen wie dieses Propaganda-Verbot würden nun zeigen, dass viele Russen diese Ansichten noch immer nicht ad acta gelegt hätten. Und das selbst Jahrzehnte nach Ende des Regimes. „Als Stalins antihomosexuellen Gesetz im Jahr 1993 aufgehoben wurde, gab es keine Amnestie für diejenigen, die noch wegen Sodomie im Gefängnis saßen“, so etwa der Professor für Geschichte Dan Healey, ein Experte für Homosexualität in Russland. Seit den 90er Jahren, so das Blatt weiter, hätten die Russen zudem unglaubliche wirtschaftliche Turbulenzen, einen Verlust von öffentlichen Dienstleistungen in vielen Bereichen, und die weit verbreitete Korruption erlebt. Alles Faktoren, die, so Yvonne Howell, eine russische Professorin an der University of Richmond, das Ausbilden negativer Stereotypen vorantreiben würden.

Das Ergebnis all dieser Erfahrungen liegt, so The Atlantic, auf der Hand:  „Nur 16 Prozent der Russen heute sagen, dass Homosexualität von der Gesellschaft akzeptiert werden sollte, verglichen mit 42 Prozent in der Nähe des (ebenfalls einst kommunistischen) Polen.“ Interessanterweise würde sich die russische Gesellschaft damit aber einem weltweiten Trend entziehen, der Homophie und starke Religiösität miteinander in Verbindung bringt. Denn: Die Russen würden sowohl Gott als auch Homosexuelle ablehnen, wie die Chinesen. Russland gilt derzeit als eines der am wenigsten gläubigen Länder auf der Erde, mit nur 33 Prozent, die sagen, Religion sei in ihrem täglichen Lebe sehr wichtig.

Der Einfluss der Kirche:  Gläubigsein heißt Russischsein

Doch obschon die Russen keine Kirchgänger sind, fühlen sich die meisten der Orthodoxen Kirche innig verbunden, identifizieren sich und ihr Russischsein über den Glauben. Und diese, die stark mit Putin und dem Kreml verknüpft ist, übt nicht nur religiöse Macht über ihre Schafe aus. Religion, das ist zugleich so etwas wie nationale Tradition, die einher gehe mit dem „Festhalten an moralischen und ethischen Standards“. Das Kirchenoberhaupt, Patriarch Kirill,  jedenfalls mache keinen Hehl aus seiner Einstellung zum Thema Homosexualität. Alternative sexuellen Orientierungen seien für ihn ein regelrechtes „soziales Übel“. „Die Kirche hat eine sehr starke Anti-Homosexuellen-Rhetorik, die mit der Zeit immer stärker wird“,  sagt auch ein Aktivist in St. Petersburg zu PRI. Vor fünf Jahren, hätte sie das Ganze noch ignoriert,  jetzt würden sie sagen, dass Homosexualität eine Sünde sei. Wie stark die Verflechtungen zwischen Kirche und Kreml seien, so das Blatt weiter, hätte aber nicht zuletzt der Fall der Protest-Punk-Band Pussy Riot gezeigt.

Putins Regierung scheint sich derzeitjedenfalls an die uralte russisch-sowjetische Idee zu halten, dass der Herrscher das Land an eine moralische Agenda klammern sollte. Die Abgeordneten scheinen ganz zufrieden damit, sich hier an die Kirche lehnen zu können. Von der öffentlichen Intoleranz würden sie darin sogar bestärkt. Der Frontverlauf ist mit dem jetzigen Anti-Schwulen-Gesetz jedenfalls klar.

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