INTERNET

Kampf gegen hohe Selbstmordrate: Russland sperrt fast 600 Webseiten

Gennady Onishchenko, Direktor der staatlichen Verbraucherschutzbehörde Russlands, hat an diesem Dienstag bekannt gegeben, dass seine Behörde beschlossen habe, 594 Webseiten zu sperren. Grund für diese drastische Maßnahme: Die Seiten sollen Informationen über Techniken und Methoden, Selbstmord zu begehen, enthalten.

„Wir haben von der Russischen Informationsbehörde 703 Adressen bekommen. Wir haben sie geprüft und entschieden 594 Seiten zu schließen“, zitiert das Portal „Pravda“ Gennady Onishchenko. 101 Webseiten enthielten seinen Angaben zufolge keine verbotenen Informationen. 187 weitere Internetpräsenzen würden noch analysiert.

Russland wird von Selbstmordserie heimgesucht

Willkürliche Zensurlust, wie wahrscheinlich in vielen anderen Fällen, kann man der Behörde in diesem Fall wahrscheinlich nicht vorwerfen. In Russland, so informiert das Blatt weiter, dienten Internetseiten derzeit als Hauptinformationsquelle, um einen Selbstmord zu planen und durchzuführen. Im Frühjahr 2012 wurde das Land von einer regelrechten Selbstmord-Welle erschüttert. Die Jugendlichen ahmten sich gegenseitig nach. Darauf hin schaltete sich Präsident Dmitri A. Medwedjew ein. Die Medien, so warnte er, sollen das Thema nicht zu sehr pushen, um nicht noch mehr Tote zu provozieren.  Angefangen hatte die Serie an Selbstmorden im vergangenen Februar. Damals sprangen zwei 14-jährige Mädchen Hand in Hand vom Dach eines 16-stöckigen Wohnkomplexes in einem Vorort von Moskau. Danach brach eine regelrechte Serie los, die die russische Öffentlichkeit in Atem hielt. So kam es etwa am 9. April binnen 24 Stunden zu insgesamt sechs Todesfällen. Die Selbstmordrate unter russischen Teenagern ist dreimal höher als im globalen Durchschnitt.

Umstrittenes Gesetz öffnet Willkür Tür und Tor

Erst im vergangenen Juli war das hierfür grundlegende Gesetz vom russischen Parlament verabschiedet worden (Internetaktivisten hatten das Vorgehen zuvor scharf kritisiert – mehr hier). Damit war die Jagd nach allen Seiten, die vermeintlich Kinderpornografie, Drogen verherrlichendes Material und Anleitungen zum Selbstmord beinhalten, eröffnet. Denn enthalten die Seiten derartige Informationen, hat die Behörde die Befugnis zur Schließung der Webseiten und das ohne Gerichtsverfahren. In allen anderen Fällen muss erst ein Gericht entscheiden.

Mit Inkraftreten des Gesetzes hatte die Bundesbehörde auch zapret-info.gov.ru freigeschaltet. Dort können die Internetuser nachsehen, ob eine bestimmte Domain, URL oder IP-Adresse mittlerweile auf der Blacklist steht. Bereits innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Freischaltung sollen über 5000 Beschwerden eingegangen sein. 96 Prozent habe die Behörde angeblich abgelehnt.

Der umstrittene Vorstoß Russlands rief nicht nur die Internetriesen Google und Wikipedia, sondern auch in Deutschland Kritik auf den Plan. So warnte etwa netzpolitik.org:  “In Russland ist heute das Gesetz zur Internet-Zensur in Kraft getreten. Begründet wurde es mit Kinderschutz, trotzdem werden auch politische Webseiten von Oppositionellen zensiert. Umgesetzt wird das mit Deep Packet Inspection, womit neben der Zensur gleich noch Überwachung möglich ist – inklusive Anbindung an den Geheimdienst.”

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