STIMMUNG

Schluss mit Kreml-Getreuen: Russische Wähler wollen Politiker, die anpacken

Gut einem Monat, nachdem Wladimir Putin erneut zum Präsidenten gewählt wurde, gibt es in Russland wenig Anzeichen für einen bevorstehenden Aufstand. Doch der Scheint trügt. Die politische Landschaft im Riesenland organisiert sich neu. Sie ist lokal, misstrauisch, dabei äußerst dynamisch und den Kreml-Getreuen alles andere als wohlgesonnen.

Noch im vergangenen Dezember gingen die Russen für ihre Überzeugung auf die Straße. Jetzt tun sie ihre Meinung auch in Regionalwahlen kund. (Foto: Max Mayorov/flickr)

Noch im vergangenen Dezember gingen die Russen für ihre Überzeugung auf die Straße. Jetzt tun sie ihre Meinung auch in Regionalwahlen kund. (Foto: Max Mayorov/flickr)

Die Proteste, die noch im vergangenen Dezember heraufbeschworen wurden, sind mittlerweile sporadisch geworden. Die in der Wahlnacht eingesetzten Truppen sind zurück in ihren Kasernen und der Kreml hat diesmal auch ohne Gewaltanwendung zu seiner Gelassenheit zurück gefunden. Einen Monat vor Putins Amtseinführung sind jedoch sowohl seine Politik als auch seine Regierungsbildung völlig unklar. Die implizite Botschaft lautet allerdings: im Großen und Ganzen läuft alles so weiter wie bisher.

40 Prozent der Wähler wollen Wladimir Putin nicht

Doch dieser Eindruck täuscht. Obschon die Proteste abebben sind die Unterströmungen, die die Unzufriedenheit ausgelöst haben, dabei das politische System des Kremls zu zerfressen. Laut einer aktuellen Umfrage des Levada Centers wollen nur 17 Prozent der Russen Wladimir Putin für die nächsten sechs Jahre als Präsidenten sehen. Mehr als 40 Prozent sind für ein frisches Gesicht an der Spitze. Wie Mikhail Dmitriev, Leiter des Zentrums für strategische Forschung, ein Think Tank, das die Proteste im vergangenen Winter vorausgesehen hat, erklärt, hätte gerade in der russischen Mittelschicht und in den größeren Städten des Landes die Unzufriedenheit zugenommen. Noch sind die Erkenntnisse Dmitrievs nicht veröffentlicht, doch bereits jetzt ist klar, dass die Unterstützer Putins ihre Motivation verloren haben während die Entschlossenheit seiner Gegner wächst und wächst.

Unzufriedenheit findet Ausdruck in den Regionalwahlen

Die breite Unzufriedenheit, so Dmitriev weiter, würde sich zwar nicht in Form offener Proteste äußern, manifestiert hätte sie sich aber dennoch und bereits in einigen Regionalwahlen. Wie etwa am 1. April, als ein Oppositionskandidat in Jaroslawl im Rahmen der Bürgermeisterwahl einen überwältigenden Sieg über einen Kreml-Kandidaten einfuhr. Ähnliches trug sich auch in Togliatti zu. Offenbar ein neuer Trend mit einer klaren Botschaft an die regionalen Eliten: Teil der Opposition zu sein könnte nun eine bessere Idee sein als ein Verbündeter des Systems zu sein.

Einen ebenso wichtigen Beitrag, so der Analyst weiter, hätten hier allerdings auch die Journalisten des Landes sowie die Wahlbeobachter geleistet. So hätten sie etwa in Jaroslawl für die faire Durchführung der Wahlen gesorgt. Für ihn ist klar: Die echte Politik ist nun auf dem besten Weg sich auf der regionalen und kommunalen Ebene auszubreiten. Russen im ganzen Land wollen nun ihre eigenen Gouverneure wählen. Die lokalen Belange rücken zunehmend in den Vordergrund. Diese Regionalisierung der Politik in Russland ist laut Dmitriev allerdings nicht nur ein Zeichen für ein Aufkommen der Graswurzel-Bewegung, sondern auch ein Symptom für den Mangel an Vertrauen, den die Menschen in Politiker und Parteien auf Bundesebene haben. Politiker, die mit Programmen und Versprechen um sich schlagen, sind nicht mehr gefragt. Jetzt sind diejenigen am Zug, die sich wirklich einsetzen und die lokalen Probleme, zum Beispiel in Sachen Gesundheit, Bildung oder Straßenbau verstehen.

Großes Misstrauen erschwert Parteienbildung

Mit dem Umschwung einher gehen aber auch gewisse Schwierigkeiten: Das Misstrauen innerhalb der russischen Bevölkerung erschwert die Bildung nationaler, politischer Parteien. Das ist vor allem ein Problem für die russischen Liberalen, denen, im Gegensatz zu den Kommunisten, eine einigende Organisation bzw. eine Führungsfigur fehlt. Ein neues Gesetz, das die Registrierung neuer Parteien vereinfacht,  macht diese Schwäche nur offensichtlicher. Es mag aber auch erklären, warum kluge Oppositionspolitiker, wie etwa Alexej Kudrin, ein ehemaliger Finanzminister, und Alexei Navalny, ein beliebter Blogger, es vorgezogen haben in zivilgesellschaftliche Initiativen anstatt weiter in der Politik zu arbeiten.

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